Sonntag, 8. Juli 2018

Die Geschichte von der Amsel mit einem Bein


Schon seit einiger Zeit bemerkte ich im Garten eine männliche Amsel, mit nur einem Bein.
Sie bzw. Er war sehr zutraulich. Hüpfte immer wieder im Garten herum, ja selbst die Anwesenheit mehrerer Leute störte ihn nicht. So hüpfte er durch den Garten um Futter zu suchen und schwang sich in die Lüfte. Ich freute mich darüber, so einen besonderen Gast im Garten zu haben.

Amselmann "Hansi" - so will ich ihn kurz nennen.

Eines Abends als ich den Garten gießen wollte, flogen sämtliche Amseln weg, nur eine blieb und hüpfte hinter den Rosenstöcken vor dem Wasserstrahl davon. Ich wunderte mich schon, warum diese Amsel gar so zutraulich war. Bald musste ich aber bemerken, dass ihr ein Flügel fehlte. Beim näheren Hinsehen bemerkte ich, dass es Hansi war. Hansi, der Amselmann mit einem Beinchen, hatte nun auch nur noch einen Flügel. Die Schwanzfedern waren ebenso teilweise nicht mehr da.

Ein Vogel, der nicht fliegen kann! Wie furchtbar, vor allem war er nun ungeschützt sämtlichen Räubern am Boden und aus der Luft ausgesetzt.

Guter Rat war teuer, aber ein Flügel konnte nicht nachwachsen, die Federn mit der Zeit, aber würde Hansi soviel Zeit haben? Er schien nicht mehr ganz jung, sein Flügelkleid war teilweise schon grau. Einfangen ließ er sich auch nicht.

Ich überlegte. Wildtierhilfe? Aber was könnte man dort tun und was würde das für Hansi, die Amsel, die die Freiheit gewohnt war, bedeuten?

Ich entschied mich, schweren Herzens, der Natur ihren Lauf zu lassen und als ich den Garten verließ, blickte ich noch Mal zurück, in der Meinung, es wäre das letzte Mal, dass ich ihn lebend sehen würde.

Ich sollte mich jedoch irren! Am nächsten Tag fand ich Hansi wieder im Garten vor. Er hatte die Nacht überlebt, er war klug, wusste wohl sich zu verstecken. Bei näherer Betrachtung konnte ich erkennen, dass ihm nicht der ganze Flügel fehlte. Ich schöpfte Hoffnung....

So vergingen einige Tage. Der Amselmann hüfte durch den ganzen Garten. Ein paar Sprünge auf seinem Bein und wenn er zu viel Schwung hatte, balancierte er sich mit dem gesunden Flügel aus. In der Wiese fand er ausreichend Futter und er trank bereit gestelltes Wasser.
Manchmal hatte er Besuch von einer Amselfrau und einem anderen Amselmann. Er schien mit der neuen Situation ganz gut zurecht zu kommen.

Man muss sich einmal vorstellen, ein Vogel, der es gewohnt ist, sich über der Erde zu bewegen, einfach in die Lüfte zu schwingen, ist mit einem Mal auf dem Boden gefangen, noch dazu, mit nur einem Bein. Aber Hansi war tapfer und passte sich mit einer für mich bewundernswerten Art und Weise an.  Er war zutraulich, wenn ich ihm jedoch zu nahe kam, suchte er das Weite.

Als sich ein Unwetter ankündigte, baute ich dem Amselmann einen Unterschlupf, wo er auch vor nächtlichen Räubern sicher sein konnte. Ich versuchte ihn noch dorthin zu scheuchen. Wenn ich mit ihm sprach, sah er mich so interessiert und neugierig an.

Am Tag nach dem Regen, hatte ich wieder in der Baustelle zu tun und während ich auf einen der Arbeiter wartete, suchte ich Hansi im Garten, konnte ihn aber nirgendwo erblicken. Ich erzählte dem Arbeiter von dem Amselmann mit dem einen Bein und dieser konnte mir gleich eine Geschichte berichten. Nämlich, dass Hansi sich während der Pause zu ihnen gesellte und mit ihnen mit aß. Nun lag er aber tot hinten im Garten, erzählte mir der Mann.

Nun lag er da, der tapfere Vogel, das Flügelkleid durchnässt, leblos war sein Blick. Es war nicht eindeutig erkennbar, ob er von einem Tier getötet worden war, oder einfach dort gestorben ist. Später grub ich ihn neben einer meiner Lieblingsblumen ein.

Was können wir von dem Leben dieser kleinen Amsel lernen und mitnehmen?
Ganz egal, wie widrig die Umstände auch sein mögen, und wie aussichtslos, es gibt immer wieder Möglichkeiten das Beste draus zu machen.

Hansi hätte sich auch einfach in eine Ecke setzen können, aber er hüpfte durch den ganzen Garten und machte das Beste aus seiner Situation. Als er das Wasser in der Sonne trank und seinen kleinen Kopf nach oben reckte, schien er dies zu genießen und einmal hatte er ein Stück zum Fressen im Schnabel, dass er vor dem Wasserstrahl beim Giessen unbedingt retten wollte. Es war sein Stück und ohne diesem im Schnabel hüpfte er nicht weiter.

Der kleine Amselmann ist nun nicht mehr. Er wird mir fehlen und wohl unvergessen bleiben und auch vielleicht sogar ein Vorbild sein!

Von 💖zu 💖



RIP Hansi



(c) Erika Klann

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